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Am 19. Internationalen Bodenseekongress am 12. September 2025 präsentierte Christina Zöhrer, Ernährungswissenschaftlerin und Ökotrophologin, ihre bemerkenswerte Masterarbeit zur Wirksamkeit von Mikronährstoffen bei der Behandlung von Depressionen. Die Absolventin des Masterstudiengangs Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin an der FHM Bielefeld bei unserem wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Elmar Wienecke untersuchte in ihrer retrospektiven Interventionsstudie, wie individualisierte Mikronährstoffrezepturen im Vergleich zum Antidepressivum Citalopram bei diagnostizierten Depressionen wirken.​

Was ist eine klinisch relevante Depression

Depression stammt aus dem Lateinischen und bedeutet im übertragenen Sinne niedergeschlagene oder gedrückte Stimmung. Während viele Menschen kurzweilige Phasen kennen, in denen Sie sich depressiv fühlen, unterscheiden sich diese deutlich von einer klinisch relevanten Depression. Eine solche liegt vor, wenn mindestens zwei Hauptsymptome wie depressive gedrückte Stimmung und Freudlosigkeit sowie zwei Zusatzsymptome wie kognitive Einschränkungen und Schlafstörungen vorhanden sind. Die Schwere der Depression wird anhand der Anzahl und Ausprägung der vorhandenen Symptome ermittelt.​

Pathophysiologische Mechanismen bei Depression

Die Entstehung von Depressionen ist multikausal und wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Zu den zentralen Faktoren gehören die individuelle Stressverarbeitung, Lebenserfahrungen, Lebensereignisse und neurobiologische Dysbalancen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass eine Reizübertragungsstörung im Gehirn eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Depression spielt.​

Dysbalancen im vegetativen Nervensystem

Bei depressiven Menschen zeigt sich häufig eine ausgeprägte Dysbalance im vegetativen Nervensystem. Viele Betroffene weisen einen stark ausgeprägten Sympathikus bei gleichzeitig geringem Parasympathikus auf und befinden sich dadurch häufig in einem chronischen Stresszustand. Diese Dysbalance kann mittels HRV-Messung (Herzratenvariabilität) ermittelt werden, wobei verschiedene Parameter aufgenommen werden: der Indikator für die parasympathische Aktivität, die LF/HF-Ratio, die Aussagen über die Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus treffen kann, sowie der Stressindex.​

Neurotransmitter-Dysbalancen und ihre Bedeutung

Häufig liegen bei depressiven Menschen Dysbalancen in den Neurotransmittern vor. Betroffen ist unter anderem GABA (Gamma-Aminobuttersäure), das nervenberuhigend wirkt und einen gesunden Schlaf fördert. Auch bei Serotonin zeigen sich Dysbalancen, häufig in Verbindung mit einem Mangel an Tryptophan, was zu einer Fehlfunktion des Serotonin-Rezeptors oder des Serotonin-Transporters führt. Häufig kommt es zu einer Down-Regulation, weil das benötigte Substrat zu gering vorhanden ist.​

Schilddrüsendysfunktion und Depression

Eine Schilddrüsendysfunktion kann ebenfalls eine bedeutende Rolle bei Depressionen spielen. Menschen mit Hyperthyreose zeigen Symptome wie Angst, Reizbarkeit und Konzentrationsstörungen, wobei circa 69 Prozent der Menschen mit Hyperthyreose auch an einer Depression leiden. Bei Menschen mit Hypothyreose treten ähnliche Symptome auf, wie depressive Stimmung und psychomotorische Verlangsamung. Die TSH-Werte bei einer Schilddrüsenunterfunktion korrelieren dabei mit der Schwere einer Depression.​

Entzündungsprozesse als Depressionsfaktor

Entzündungsprozesse spielen bei vielen depressiven Menschen eine wichtige Rolle und können gemessen werden. Diese Entzündungsprozesse treiben Tryptophan in den Kynurenin-Stoffwechsel, was zu einem erhöhten oxidativen Stress führt. Dies wiederum führt zu einer gestörten Glutamat-Homöostase, wobei Entzündungsprozesse auch in den Glutamat-Glutamin-Zyklus eingreifen. Wenn zu viel Glutamat im synaptischen Spalt akkumuliert, kann dies Zellschädigungen hervorrufen oder sogar zum Zelltod führen.​

Studiendesign der retrospektiven Interventionsstudie

Für die retrospektive Interventionsstudie wurden 50 männliche Probanden aus der Datenbank der Saluto-Gesellschaft für Gesundheit und Sport selektiert. Das Vorhandensein einer Verschreibung eines Antidepressivums war der Nachweis dafür, dass die Depression diagnostisch vom behandelnden Arzt gestellt wurde. Aus diesen Probanden wurden zwei Gruppen gebildet: Die eine Gruppe erhielt eine individualisierte Mikronährstoffrezeptur auf Basis der Anamnese und Laborbefunde, die andere Gruppe bekam Citalopram in unterschiedlichen Dosierungen. Beide Gruppen erhielten standardisierte Ernährungsempfehlungen nach dem Glykoplan und absolvierten zwei bis drei Mal pro Woche moderaten Sport.​

Untersuchte Parameter und Messungen

Die erhobenen Variablen umfassten HRV-Parameter, Mikronährstoffe, Aminosäuren und Stoffwechselparameter, die zu Beginn der retrospektiven Studie sowie nach zwölf und nach 24 Wochen ermittelt wurden. Diese umfassende Datenerhebung ermöglichte eine detaillierte Analyse der Veränderungen in beiden Behandlungsgruppen über den gesamten Studienzeitraum.​

Ergebnisse der Mikronährstoffgruppe

Die Ergebnisse der Mikronährstoffgruppe waren beeindruckend. Alle Mikronährstoffe sind gut angestiegen, insbesondere Vitamin D zeigte einen deutlichen Zuwachs. Bei den HRV-Parametern zeigte sich ein sehr starker Anstieg des Parasympathikus, während die LF/HF-Ratio und der Stressindex stark zurückgingen. Die Stoffwechselparameter der Schilddrüse waren in der Mikronährstoffgruppe leicht rückläufig, was auf eine Verbesserung hindeutet. Der Langzeitblutzuckerwert und der Inflammation-Marker fielen in beiden Gruppen ab, wobei der HS-Omega-3-Index in der Mikronährstoffgruppe einen sehr starken Zuwachs verzeichnete.​

Aminosäuren und ihre positive Entwicklung

Bei den Aminosäuren zeigte sich in der Mikronährstoffgruppe bei allen gemessenen Werten ein guter Anstieg. Dies ist besonders bedeutsam, da Arginin und Taurin zum Stickstoffmonoxidhaushalt und zum GABA-System beitragen. Zudem kam es zu einer Anhebung der Vorstufen der Neurotransmitter, was für die Verbesserung der depressiven Symptome von zentraler Bedeutung ist. In der Citalopram-Gruppe stagnierte die Entwicklung der Aminosäuren oder einzelne Werte gingen sogar zurück.​

Vegetatives Nervensystem und Stressregulation

Beide Gruppen befanden sich zu Studienbeginn in sympathischer Dominanz. Der Parasympathikus lag bei beiden Gruppen bei nur sechs bis sieben Prozent, was aussagt, dass die parasympathische Aktivität nicht ausreichend vorhanden war. Nach 24 Wochen zeigte die Mikronährstoffgruppe einen starken Anstieg und erreichte knapp 12 Prozent. Nur die Mikronährstoffgruppe konnte aus der sympathischen Dominanz herauskommen. Der Stressindex lag bei beiden Gruppen zu Beginn bei über 350, aber nur in der Mikronährstoffgruppe erfolgte eine Reduktion auf 148, was eine geringe sympathische Aktivität und damit eine deutliche Erholungsphase des vegetativen Nervensystems bedeutet.​

Vergleich der beiden Behandlungsgruppen

Die Mikronährstoffgruppe konnte eine deutliche Erholungsphase des vegetativen Nervensystems erreichen, während die Citalopram-Gruppe zwar einige Parameter stabilisieren konnte, die sympathische Dominanz jedoch weiterhin bestehen blieb. Bei den Mikronährstoffen waren in der Mikronährstoffgruppe alle Werte deutlich angestiegen, während in der Citalopram-Gruppe tendenziell Vitamin B und Ferritin absanken. Die Mikronährstoffe konnten die relevanten Defizite gut ausgleichen, was zur Verbesserung der Neurotransmitter-Synthese und der HRV-Parameter führte. Die Citalopram-Gruppe konnte nur eine geringe Verbesserung erzielen, höchstwahrscheinlich aufgrund der Ernährungsumstellung nach dem Glykoplan von Dr. Kurt Mossetter. Oxidativer Stress und Methylierungsdefizite blieben in dieser Gruppe weiterhin bestehen.​

Schilddrüsenwerte und metabolische Parameter

Bei den TSH-Werten konnte in der Mikronährstoffgruppe eine Reduktion auf 1,9 erreicht werden, während die Werte in der Citalopram-Gruppe leicht auf 2,3 anstiegen. Werte unter 2,2 korrelieren sehr eng mit dem vegetativen Nervensystem und tragen zu einer vegetativen Balance bei. Der Langzeitblutzuckerwert und der IFAB-Wert gingen in beiden Gruppen zurück, was auf die Ernährungsumstellung zurückzuführen ist, sodass auch die Citalopram-Gruppe hier kleine Erfolge verzeichnen konnte. Der HS-Omega-3-Index stieg in der Mikronährstoffgruppe sehr stark an und erreichte einen Wert von 12,95 Prozent, wodurch eine Entzündungshemmung herbeigeführt werden konnte.​

Angesprochene pathophysiologische Mechanismen

Mit dieser retrospektiven Studie konnten fünf pathophysiologische Mechanismen angesprochen werden:

  • Neurotransmittermangel
  • Entzündungsprozesse
  • Oxidativer Stress
  • Autonomes Nervensystem
  • Kardiometabolische Belastung

Diese ganzheitliche Herangehensweise zeigt, wie komplex die Behandlung von Depressionen ist und wie wichtig es ist, multiple Faktoren gleichzeitig zu adressieren.​

Rückmeldungen der Probanden nach 24 Wochen

Nach den 24 Wochen Behandlungsdauer berichteten die Probanden der Mikronährstoffgruppe von einem sehr starken Rückgang der depressiven Symptome. Diese subjektiven Verbesserungen decken sich mit den objektiv gemessenen Parametern und unterstreichen die klinische Relevanz der Studienergebnisse. Die Kombination aus verbesserter Stressregulation, ausgeglicheneren Neurotransmittern und reduzierten Entzündungswerten führte zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensqualität.​

Bedeutung für die klinische Praxis

Die Ergebnisse dieser Studie sprechen dafür, dass Mikronährstoffe als additive Therapie in die Leitlinien zur Behandlung von Depressionen aufgenommen werden sollten. Darüber hinaus können Sie als gezielte oder alternative Therapieoption herangezogen werden. Mikronährstoffe können klassische Therapien zwar nicht vollständig ersetzen, eröffnen aber wertvolle Perspektiven für integrative und nachhaltige Behandlungsansätze. Die individualisierte Mikronährstoffrezeptur auf Basis von Anamnese und Labordiagnostik erwies sich als besonders wirksam.​

Limitationen und Ausblick auf weitere Forschung

Christina Zöhrer betonte in ihrem Vortrag, dass weitere Studien notwendig sind, um diese Ergebnisse gründlich zu belegen und zusätzliche Parameter aufzunehmen. Die retrospektive Studie bietet bereits wichtige Hinweise, doch prospektive randomisierte kontrollierte Studien mit größeren Probandenzahlen würden die Evidenz weiter stärken. Auch die Untersuchung von weiblichen Probanden und unterschiedlichen Schweregraden der Depression wären wichtige nächste Schritte in der Forschung.​

Wissenschaft trifft Praxis am Bodenseekongress

Der 19. Internationale Bodenseekongress betonte die enge Verbindung von Wissenschaft und Praxis in der Mikronährstofftherapie. Prof. Dr. Elmar Wienecke, Sportwissenschaftler und Leiter des Masterstudiengangs Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin an der FHM Bielefeld, hob hervor, dass inzwischen über 140 Masterarbeiten entstanden sind, viele davon mit unmittelbarem Praxisbezug. Die Arbeit von Christina Zöhrer ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Forschung direkt in die therapeutische Praxis übertragen werden kann und Patienten mit Depressionen neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnet.​

Die präsentierten Forschungsergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass eine individualisierte Mikronährstofftherapie bei Depression signifikante Verbesserungen in Neurotransmitter-Synthesen, Stressregulation und Schilddrüsenparametern bewirken kann. Während die Pharmakotherapie mit Citalopram nur begrenzte Effekte zeigte, konnte die Mikronährstoffgruppe in nahezu allen gemessenen Parametern deutliche Verbesserungen erzielen. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung einer ganzheitlichen Betrachtung der Depression und zeigen auf, dass neben der Psychotherapie und medikamentösen Behandlung auch die orthomolekulare Medizin einen wertvollen Beitrag zur Behandlung depressiver Erkrankungen leisten kann.

Wenn Sie noch mehr über diese bahnbrechende Studie erfahren möchten und die detaillierten Ausführungen von Christina Zöhrer im Original sehen wollen, schauen Sie sich das gesamte Video an. Sie erhalten dort zusätzliche Einblicke in die Methodik, die genauen Laborwerte und die praktische Umsetzung der Mikronährstofftherapie bei Depression:

https://mediathek.salusmed.ch/mediathek/video/die-wirksamkeit-von-naehrstoffen-in-der-behandlung-diagnostizierter-depressionen/